Die Faltkajaks und den gesamte Rest der Ausrüstung inklusive Proviant für die erste Tourwoche haben wir im Heck verstaut. Nun gilt es nur noch die benötigten Seekarten zu besorgen. Das NAMRIA-Büro (National Mapping and Resource Information Authority), die Behörde, wo detailliertes Kartenmaterial für die gesamten Philippinen zu erhalten ist, befindet sich in einem Regierungsgebäude (beim „Department of Environment and Natural Ressources“) im Norden Puerto Princesas. Das Amt liegt nur einen kurzen Abstecher von der geplanten Route, am Weg aus der Hauptstadt Palawans, entfernt. Der Jeep hat seine Tücken, doch der lebhafte Verkehr Puerto Princesas lässt mir keine Zeit mich langsam daran zu gewöhnen – sofort wird höchste Konzentration gefordert. Ein Gewühl aus Tricycles (Mopeds mit überdachtem Beiwagen), Jeepneys (den typischen, urig-bunten Bussen der Philippinen), Radfahrern, alten klapprigen Kleinwagen und fetten Fernost-SUVs prägt das Stadtbild. Da müssen wir jetzt durch. Schweißgebadet erreichen wir eine halbe Stunde später das NAMRIA-Büro. Wir decken uns mit Kartenmaterial der gesamten Nordwestküste Palawans ein und kurze Zeit später knattern wir gemächlich entlang der Hauptstrasse Richtung Norden.
Die 400 km lange und nur maximal 40 km breite Insel Palawan liegt im Südwesten der Philippinen, zwischen der Sulu-See (im Süden) und dem Südchinesischen Meer (im Norden). Neben der Hauptinsel gehören 1768 weitere Inseln zur Provinz. Die Natur ist zum Großteil noch intakt und besteht aus gebirgigem, oft undurchdringlichem Dschungel. In längst vergangenen Tagen gab es eine Landverbindung zwischen Palawan und Borneo. Noch heute erinnern die Gemeinsamkeiten in der vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt daran. Palawan wird oft „the last frontier“ – „die letzte Grenze“ – genannt. Die Erschließung der Insel schreitet natürlich auch hier voran, jedoch viel, viel langsamer, als anderswo in den Philippinen. Wir werden (vor allem während der zweiten Hälfte unserer Reise) in Regionen paddeln, wo wahrscheinlich noch niemals zuvor Kajaker gewesen sind. Das regt die Fantasie an…
Ein Schlagloch direkt vor einer Brücke holt mich aber sehr schnell wieder auf den Boden der Realität zurück. Die Bodenschwelle danach hebt uns den Magen aus und lässt das Gepäck im Jeep kurzfristig abheben. Verloren haben wir bei dem Manöver anscheinend nichts und so setzen wir die Fahrt fort. In dem Örtchen Roxas übernachten wir – ungefähr auf halber Strecke, bevor wir am nächsten Tag die finale Etappe nach El Nido in Angriff nehmen wollen. Die Asphaltstrasse wird zur Schotterpiste. Vorbei an Reisfeldern und Palmenplantagen geht es auf der kurvenreichen Strecke zur Nordwestseite der Insel. Dann eröffnet sich uns plötzlich ein fantastischer Ausblick: Bis zum Horizont erstreckt sich das Südchinesische Meer. Steile, dicht bewachsene Inseln erheben sich in der Bacuit Bucht aus dem Wasser. Die für diese Region typischen, teilweise bizarr geformten Kalksteinfelsen reichen bald darauf bis an den Straßenrand heran. Und plötzlich sind wir da. Wir rollen nach ca. 270 km Fahrt in El Nido ein. Malerisch von einer schroffen Kulisse umrahmt, ist der Fischerort unser Ausgangspunkt für die Befahrung der Nordwestküste Palawans.
El Nido bedeutet „Das Nest“ – der Name leitet sich ab von den unzähligen Schwalbennestern, die auf den Klippen der vorgelagerten Inseln hoch oben in den senkrechten Kalksteinfelswänden sehr exponiert platziert sind. Das „ernten“ der Schwalbeneier hat eine lange Tradition. „Bird´s nest soup“ gilt als Delikatesse, vor allem im asiatischen Raum. Eine weitere Haupteinnahmequelle ist mittlerweile aber auch der Tourismus. Tagestouren zu den Stränden der umliegenden Inseln sind sehr beliebt, ebenso Tauch- und Schnorcheltrips in der weitgehend intakten und artenreichen Unterwasserwelt. Diese Entwicklung sei den Einheimischen von Herzen gegönnt. Und von Massentourismus kann hier noch lange keine Rede sein. Auch ist das Interesse der Urlauber auf ein paar klassische Highlights in der Bacuit Bucht beschränkt. Auf einem unserer Streifzüge durch das kleine Städtchen kommen wir an der Hütte der Coast Guard, der Küstenwache, vorbei. Wir werden herzlich von einem Mitarbeiter empfangen, der extra für uns langsam aus der Hängematte gekrochen ist. Ein paar wichtige Telefonnummern notieren wir und erkundigen uns auch nach der Funkfrequenz im Falle eines Notfalls. Wäre da nicht ein klitzekleines Problem: Das einzige Funkgerät dieses Postens ist defekt. Schon seit Monaten. Ein neues ?! Nicht wirklich in Aussicht.
Bald darauf befinden sich die Faltkajaks fixfertig aufgebaut neben unserer Hütte und warten darauf ins Wasser gelassen zu werden. Ausrüstung, Essen und 45 l Wasser stehen auch schon bereit. Eigentlich wollen wir morgen los. Doch wie aus heiterem Himmel rafft uns eine ominöse Art von „Schlafkrankheit“ nieder. Der Bauch rebelliert ein wenig, doch diese alles niederschmetternde Müdigkeit, die uns einen ganzen Tag in einem Delirium-artigen Schlafzustand verbringen lässt, macht es unmöglich an Paddeln überhaupt zu denken - wenn sogar der Weg zur Toilette zum Kraftakt wird. „Verdammt, was ist das ?! Und wie bekommen wir es wieder weg ?!?“ Uns fällt nicht viel ein, außer ausreichend Flüssigkeit zu uns zu nehmen, etwas zu essen und …. zu schlafen.
So plötzlich, wie „es“ gekommen war, so schnell sind wir es auch wieder los – am nächsten Morgen fühlen wir uns deutlich besser. Wir wollen keine wertvolle Zeit auf dem Wasser verlieren und entscheiden uns, obwohl wir noch nicht ganz bei Kräften sind, trotzdem loszulegen. Nach einem kleinen Frühstück geht es mit dem ganzen Equipment zum Strand. Packsäcke und Trinkbeutel wollen gekonnt im Rumpf der Boote möglichst gleichmäßig verstaut werden. Dann ein obligatorisches „Wir-vor-der-Tour“-Foto, und wir legen ab.